Kaltstart um 5:45 in der Früh.
Es geht in den ersten Segeltag nach 14 Monaten. Die Route zwischen Brunswick und Cape Canaveral fahren wir schon zum vierten Mal, also passt das. Nur die Taktik haben wir geändert. Nicht mehr Abends raus und uns zwei Nächte um die Ohren schlagen, damit wir genügend Zeitpuffer zum Einlaufen bei Tageslicht haben, nun ganz früh morgens raus und am nächsten Tag am späten Nachmittag ankommen. Klappt auch. Zwar überwiegend unter Motor weil der Wind einschläft bzw. am Samstag Vormittag direkt auf die Nase weht. Egal. Die Taktik kostet uns zwar einige Liter Diesel, aber Nachtschlaf ist ja unbezahlbar und somit gleicht sich nun alles aus. Jetzt sind wir in Cape Canaveral, also über Los, nicht im Gefängnis und starten da, wo wir im letzten Jahr unsere Tour unterbrochen haben. Im Jahr 2020 also, zurück in der Zukunft.
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Endlich, nach 11 Wochen und bevor wir uns vollends hier festsaugen wird es am Freitag beim ersten Tageslicht losgehen. Kurs Cape Canaveral. Wie im Vorjahr, nur mit dem Unterschied, dass wir dieses Mal nicht umkehren und nach Hause fliehen, sondern noch die Bahamas besuchen. Die Marinagebühren sind bezahlt, der Komfort der heißen Dusche, der freien Waschmaschinen und Trockner ist genossen; die zweite BioNtec Pfizer Impfung ohne Nachwehen abgegriffen. Die CBP (Zoll und Grenzbehörde) hat uns ein „Permit to proceed“ für Cape Canaveral erteilt. Los geht es.
Mit uns wird die Sy Caroline auslaufen. Sie hat den immensen Vorteil eines Schwenkkiels, sodass die Caroline tidenunabhängig den Intracoastal Waterway befahren kann. Das ist mit unserem Tiefgang von 2 Metern zu stressig, also geht es für uns raus auf den Atlantik und in einem Rutsch runter nach Florida.
Und das muss jetzt einfach sein:
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Ostersonntag in Brunswick
Geweckt werden wir durch eine Flex auf dem Nachbarschiff. Der Nachbar lässt gerade seinen Ankerkasten umbauen und die Combo des Marine Services ist gestern nicht fertig geworden. Alles Zirkusleute hier! Harz zum Laminieren wird auch versprüht, als Schutz für die Nachbarlieger hält der HiWi eine Pappe. Der Wind, für uns, steht gut. Kein unerwünschter Kleb auf dem neuen Teak. Alles gut; die Aussicht, dass es ein guter Tag wird ist da. Fahrräder nehmen oder laufen? Wir nehmen die Fahrräder. St. Simons Island oder Jekyll Island. Jekyll Island. Knapp 20 km hin, 20 km zurück. An sich für uns keine Entfernung. Mit normalen Tourenrädern ein Spaziergang. Die Leihräder hier bescheren uns ein höheres Handicap, single speed ist die gängige Übersetzung, also treten was das Zeug hält. Zwei Brücken sind zu überwinden. Die große Sidney Lanier Bridge (Nationalstraße 17) und die Brücke über den Intercostal Waterway. Wir verfahren nach dem Motto, was nicht explizit verboten ist, ist erlaubt. So radeln wir auf dem Standstreifen der Bundesstraße über die große Brücke und entlang der einzigen Einfallstraße nach Jekyll Island.
Auf Jekyll Island ist der Bär los. So viele Osterurlauber sind da, dass wir im Freien mit Maske umhergehen. Kurz ein Eis auf die Hand und dann wieder aufs Fahrrad um die Insel zu erkunden. Der Strand ist wie jeder Strand auf der Atlantikseite. Wie an hunderten anderen Orten hier: Dünen, Sandstrand, je nach Tide breiter oder schmäler.
Sehr schön anzuschauen ist der historische Teil der Insel. Wunderschöne, gut erhaltene Sommerhäuser aus der Zeit um 1900.
Außergewöhnlich ist, dass ein ausgewiesener Radweg die Insel durchquert. Radwege in den USA gibt es eigentlich gar nicht. Auf dem Radweg fahrend kommen wir zum einmaligen, erstmaligen Erlebnis einen ausgewachsenen Alligator in Freiheit zu sehen. Direkt neben dem Radweg. Klar, es stehen Warnschilder da, aber die haben wir bislang nie ernst genommen. Jetzt schon. Das Areal in dem diese possierlichen Tierchen leben ist nur durch einen einfachen „Zaun“ abgegrenzt. Holzpfosten und je eine fingerdicke Schnur oben und in halber Höhe, das war’s. Tier und Mensch können da ohne weiteres durch. Für diejenigen, die wissen was sich hinter der Absperrung befindet ist das gut, die anderen leben im Risiko oder nicht mehr lange.
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Brunswick Landing Marina Courtesy Bikes
An allen Stegen stehen die kostenlosen Leihräder. Wobei der Begriff Fahrrad sehr geschmeichelt ist; wenn wir Glück haben erwischen wir zwei Fahrräder die keinen platten Reifen haben und eine Rücktrittbremse. Handbremsen – Fehlanzeige. Im Grunde sind dies lebensgefährliche Fortbewegungsmittel. Aber besser schlecht gefahren, als gelaufen. Am Freitag Abend, wir waren noch unterwegs den Kopf auszulüften und etwas Musik im Freien zu hören, hat es uns erwischt. Es gibt wirklich nur eine einzige stark befahrene vierspurige Straße in Brunswick. Um in die Marina zu kommen müssen wir diese überqueren. Wir fahren immer zunächst bis zum geteerten Mittelstreifen und peilen dann die nächste Lücke im Verkehrsfluss an. So auch am Freitag. Walter: Da kommt noch ein Schneller. Elke: Reicht locker, zieh durch. Walter zieht nicht durch, sondern fährt parallel auf dem Mittelstreifen zur Fahrtrichtung, Elke zieht durch. Voll in Walter rein. Menschen und Fahrradknäuel auf dem Mittelstreifen. Autsch. Multiple Prellungen. Nichts gebrochen. Die verbogenen Lenker, Schutzbleche etc. dengelt Walter wieder zu recht.
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Samstags ist Kehrwoche. Im Schwabenland. Hier artet es etwas aus. Statt die Horizontale zu säubern, wird die Vertikale gewienert. Hierzu wird Walter mittels Spinnakerfall und Fockfall mit diversem Werkzeugen, Öl, Lappen und Reinigungsmittel ausgestopft bis ins Masttop hochgezogen. Alle Püttings, Verbindungsstellen der Sailinge zum Mast, Splinte, alle Wanten werden genauestens nach eventuellen Schwach- und Schadstellen untersucht, gereinigt, geölt und fotografiert. Ich lasse Walter zentimeterweise nach unten und er schwingt sich wie ein Affe von den Backbordwanten zu den Steuerbordwanten und zurück. Hafenkino.

Sunrise von oben – man beachte das wunderschöne Teakdeck. So wie das vom Nachbarn sah unseres auch aus
Heute lazy Sunday afternoon…
Nicht ganz. Natalja und Jochen haben einen Mietwagen und laden uns zu einem Sonntagsausflug nach St. Simons Island und zum Fort Frederica ein. Die Einladung nehmen wir sehr gerne an, wird es zugegebenermaßen doch etwas langweilig hier. Erster Stop ist beim Farmers- und Kunstgewerbemarkt im Village Creek Landing. Farmer sind nur wenige da, gibt es doch außer Feldsalat, Radieschen und Frühlingszwiebel hier noch nicht viel zum Ernten. Dafür sind einige Kunstgewerbler da. Sehr nett, aber auch ziemlich home made. Dafür ist es eine sehr nette Atmosphäre hier, mitten im Marsh-Land; durchzogen von vielen tideabhängigen Flüsschen. Ein Kanuverleih ist auch vor Ort. Vielleicht auch eine nette Abwechslung – wenn nur das Wasser nicht so kalt und trübe wäre.
Anschießend wurde es historisch. Fort Frederica. Die Britten, bzw. James Edward Oglethorpe im Auftrag Seiner Majestät (King Georg II), gründeten 1736 hier das Städtchen und das Fort Frederica und legten den Grundstein für ihre 13. Kolonie. Georgia. Das passte den Spaniern in Florida überhaupt nicht ins Konzept und sie versuchten sich gegenseitig das Land abzunehmen. Mal unterlag Oglethorpe in St. Augustine, mal der Spanier Manuel de Montiano auf St. Simons Island/Frederica. Es gab ein übles Gemetzel, bloody marsh, das ganze Sumpfgebiet war blutdurchtränkt. Was hatte es gebracht? Nichts. Alles blieb wie es war. Die Spanier in Florida, die Britten in Georgia. Bis hoch nach Pennsylvania und New England. 1749 verzog sich Oglethorpe schon wieder Richtung Heimat, nahm seine Soldaten gleich mit und das Städtchen Frederica verarmte. 1758 gab ihm ein Feuer den Rest. Heute sind nur noch die Grundmaueren zu sehen.
Nach so viel europäischer Geschichte auf dem amerikanischen Kontinent braucht es zum Tagesabschluss ein großes Schokoladeneis in St. Simons.
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Brunswick ist im Moment ziemlich langweilig. Zwar läuft in der Brunswick Landing Marina nach wie vor, unbeeindruckt von Covid 19, das „socialising program“ mit täglichem Freibier, und Mo.,Mi.,Fr. ab 17 Uhr auch mit Wein und pot look – aber ohne uns. Wir stellen uns nicht ohne Maske und ohne vollständigen Impfschutz in das Clubhaus zum small Talk. Die Pflege- und Renovierungsarbeiten auf der Sunrise sind zum Großteil erlegt. So bleibt die einzige Sensation in Brunswick das im September 2019 gestrandete und umgekippte Frachtschiff. Rund 4000 Kias und andere Automarken hatte es geladen. Nur leider hatte der Lademeister den Durchblick verloren und die Kiste ist in der ersten Fahrwasserkurve einfach so umgekippt. Der Autofrachter liegt seitdem wie ein gestrandeter Walfisch vor Brunswick am Rande des Fahrwassers. Die Bergung läuft nun schon 1,5 Jahre. Der Schrotthaufen wird samt den jetzt aufgetürmten Autos scheibchenweise durchtrennt und abtransportiert. Direkt neben der Brunswick Landing Marina werden die Schrottscheiben angelandet und weiter zerlegt.
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Spiel, Satz und Sieg Biden
Ja, wir haben uns den BioNTech/Pfizer Impfstoff in den Oberarm spritzen lassen. Die Risiken haben wir, soweit dies möglich war, mit medizinischer Beratung aus Deutschland abgewogen. Für uns stand am Ende ein Ja zur Impfung. Die amerikanische Gesundheitsbehörde stellt Jeden der medizinisch qualifiziert ist an, um die Bevölkerung mit BioNTech/Pfizer oder Moderna durchzuimpfen. Die Anmeldung erfolgt hier in Georgia über eine Website, die auch durchgehend und ohne Probleme erreichbar ist. Ein Gesundheitsfragebogen wird online ausgefüllt. Wahrheitsgemäß haben wir angegeben, dass wir Deutsche sind und einen temporären „Wohnsitz“ auf der Sunrise in der Brunswick Landing Marina haben. Soweit so gut. Gestern kam noch eine Erinnerungsmail, damit wir statt zur St. Patrick Day’s Sause doch besser zum Impfen kommen sollen. Alles durchorganisiert. Vor Ort, auf dem riesigen Parkplatz des Savannah Airports war ein Hütchen-Parcours aufgebaut mit vielen Partyzelten und wichtigen Menschen drin. Wir mussten nochmals die Gesundheitsfragen persönlich und mündlich beantworten und den Wahrheitsgehalt mittels Signatur bestätigen. Und schwups hatten wir die Spritze im Oberarm, unkonventionell durch das Autofenster.
Anschließend noch 15 Minuten in der Überwachungszone parken. Wobei alle 5 Minuten eine „Oberschwester“ ans Autofenster klopfte und uns nach dem Wohlbefinden fragte. Nach dem dritten „Alles gut“ durften wir wieder nach Brunswick zurückkehren. In 18 – 21 Tagen bekommen wir eine Mail für die Terminierung der zweiten Impfdosis.
Statt direkt nach Brunswick zurück zu fahren, gingen wir in die historische Innenstadt von Savannah.
St. Patrick Day’s Sause gucken.
Mit Maske und Abstand, soweit möglich. Die Feiernden auf den Straßen scherten sich einen feuchten Kehricht um Covid 19. Livemusik, Alkohol und Party. Muss man sicher nicht gutheißen, aber wie gesagt, die machen sich keinen großen Kopf drum.
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Biden versus Spahn. Vorteil Biden!
Eher ungläubig haben wir uns per Internet bei myvaccinegeoriga.com für einen Impftermin beworben. Heute kam die Nachricht, wir können einen konkreten Termin vereinbaren.
Gerade mal einen Tag nach Bidens erster großer Rede an die Nation, in der er groß ankündigte, dass im Mai alle Amerikaner zumindest die erste Impfung erhalten haben. Und jetzt bekommen wir einen Termin, einfach so. Mal sehen was daraus wird. Vielleicht lag es daran, dass wir just heute die amerikanische Gastlandflagge ins Rigg gezogen haben. Ein kleines Zugeständnis für unsere Nachbarlieger. Die sind allesamt ein wenig eigenartig. Verstecken sie sich doch den kompletten Tag im Inneren ihrer Schiffe, tauchen nur hie und da auf um Einzukaufen, vielleicht zum Duschen und sind dann nicht mehr gesehen bis zur nächsten Notdurft.
Gestern, wir waren mit dem Fahrrad unterwegs zum Einkaufen, wurde mit einer Softair-Waffe aus einem fahrenden Fahrzeug heraus auf uns geschossen. Das war ganz schön befremdlich, wie so manches hier. Ich glaube die Amis drehen gerade am Rad. Kein Wunder, sprechen sie doch eine undeutliche Sprache und das Klopapier ist auch um wenige Zentimeter schmaler als gewohnt. Nun wir werden sehen ob Biden den Satz gewinnt; schon in fünf Tagen haben wir Termin für die Spritze.
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Still alive
Entgegen aller Befürchtungen zu Hause in Deutschland sind wir nicht im Knast, wir sind halbwegs gesund und noch sehr munter. Halbwegs gesund deshalb, weil uns unterhalb des Körperäquators sämtliche Muskelstränge, Sehnen, Innen- und Außenbänder, Kochen und überhaupt alles ziept, brennt und eben weh tut. Rutschen wir doch seit über einer Woche auf allen Vieren, auf unseren Hintern und Knien über das Teakdeck der Sunrise. Sanierung, retten was zu retten ist.
Zitat Walter: In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Naja, kann man so sehen, muss man aber nicht. Hat man mal einige Zentimeter dieser ekelhaften gealterten Fugenmasse aus dem Teakdeck gekratzt, gibt es kein Halten mehr. Immer länger werden die Stränge, die dem alten Belag entlockt werden. Es soll ja schön werden; also werden auch kleine bereits erneuerte Abschnitte mit entsorgt. Sauerei und Chaos gehen Hand in Hand. Die alten Silokonfugen haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie sich bereits in Auflösung befinden und von hartgummiartig in den schleimigen Aggregatzustand wechseln. So sieht es beim Rauskratzen mindestens genauso versaut aus wie beim Verfugen. Überall wo man diese schwarze Pampe nicht haben will, ist sie schon da. An den Schuhen, den Klamotten, den Fingern, in den Haaren, auf dem Holz, im Salon, im Bad selbst an der Zahnbürste. Es gibt nicht was vor dieser schwarzen schleimig schlonzigen Pampe sicher ist. Und das ist nur Step Eins. Nach dem Rauskratzen kommt das Verfugen mit neuem Silikonbaatz. Das Ganze rückwärts. In dieser Arbeitsphase, dem Step zwei, spielen sich Dramen ab. Das geht nie unfallfrei über die Bühne. Schlussendlich wird das Ganze noch geschliffen. Holz und Fuge. Unmengen von Schleifstaub werden produziert. Der hängt natürlich an den Klamotten, in den Haaren, schleicht sich durch jede Ritze ins Innere des Schiffes. Alles ist gepudert, versifft, verklebt und überhaupt. Wo bitte, verdammt nochmal, wohnt nun dieser Zauber?
Sträflingsarbeit!